So viel Knabenturnier steckt in der Nationalmannschaft

Als jüngst der DFB-Kader für die kommenden EM-Qualifikationsspiele bekanntgegeben wurde, passierte etwas, das wie Jogi Löw oder der Adler auf der Brust längst zur deutschen Nationalmannschaft gehört. Die Facebook-Seite des Fußball-Knabenturniers zählte einfach mal durch und kam auf zehn Spieler, die nun das EM-Ticket gegen Weißrussland (Samstag, 20.45 Uhr, RTL) und Nordirland klar machen sollen – und die vor einigen Jahren noch in Neubrandenburg um den Titel beim größten D-Jugend-Hallenturnier Deutschlands gespielt hatten. Als da wären: die Abteilung Attacke mit Timo Werner, Serge Gnabry, Marco Reus und Kai Havertz; die Jungs zum Toreverhindern: Bernd Leno, Manuel Neuer, Nico Schulz und Niklas Stark – und natürlich nicht zu vergessen die Strategen Joshua Kimmich und Toni Kroos.
Dass ein ordentlicher Anteil der deutschen Fußball-Elite Knabenturnier-Erfahrung hat, ist für regelmäßige Beobachter des Turniers und für Nordkurier-Leser allerdings nichts Neues. Schon beim 4. Turnier 1969 kickte mit dem Rostocker Rainer Jarohs jemand mit, der später mit der DDR-Nationalmannschaft sogar mal gegen Italien gewann. 1977 war dann auch so ein Jahrgang: Der beste Techniker Andreas Thom (BFC) und der Träger des Sympathiepreises, Matthias Sammer (Dynamo Dresden, späterer Europameister und Champions-League-Sieger), sollten die einzigen Knabenturnier-Spieler werden, die sowohl für die DDR als auch für Deutschland spielen würden – in der Summe 135 Mal.
Neun Knabenturnier-Kicker wurden Weltmeister
Auch die Wende änderte nichts an der Tatsache, dass kluge Nachwuchs-Scouts besser schon beim Knabenturnier ihre Augen offen halten sollten. Tim Borowski gewann mit Post Neubrandenburg als einziger späterer Nationalspieler das Knabenturnier zwei Mal in Folge. Erste Kontakte zu seinem künftigen Profi-Verein knüpfte Borowski nachweislich am 4. Januar 1992 auf dem altehrwürdigen Parkett der Neubrandenburger Stadthalle. Thomas Hitzlsperger, Robert Huth und René Adler gaben sich am Tollensesee die Ehre, und dann ging es noch mal richtig los. Denn Knabenturnier-Spieler hatten bis dato alle erdenklichen fußballrelevanten Wettbewerbe gewonnen – mit einer Ausnahme: Weltmeisterschaft.
Es war kein sonderlich rühmlicher Auftritt, den der Torwart im Jahr 1999 mit seinem Team aus Gelsenkirchen im Jahnsportforum hinlegte. Es setzte Niederlagen gegen Greifswald, Kaiserslautern und den FC Neubrandenburg sowie zwölf Gegentore in sechs Spielen für den jungen Schalker Torwart Manuel Neuer. Der jedoch ließ sich nicht beirren und absolvierte in den nächsten 20 Jahren nicht nur 91 Länderspiele, sondern gibt als aktueller Mannschaftskapitän auch den jungen DFB-Wilden Halt. Und dann war da ja noch der 13. Juli 2014, als Neuer mit acht anderen Ex-Knabenturnier-Kickern den WM-Pokal in die Nacht von Rio de Janeiro recken durfte. Ihre Namen: Hummels, Kroos, Götze, Müller, Boateng, Kramer, Draxler, Großkreutz.
Kleiner Baustein auf dem langen Weg zur Weltklasse
Die Gesamt-Bilanz aus 53 Jahren Nordkurier-Knabenturnier liest sich gewaltig. Mehr als 1400 Länderspiele, mehr als 230 Länderspiel-Tore, mehr als 100 Meister- und mehr als 60 Pokaltitel im In- und Ausland, Titel im Uefa-Pokal, in der Champions League, diverse Europameisterschaften mit der U17, U19, U21 und der A-Nationalmannschaft, Confed-Cup-Sieger – und schließlich die neun Weltmeister. Die Liste der Knabenturnier-Spieler, die es immerhin in den Profi-Fußball geschafft haben, ist – genau so wie die derjenigen, die derzeit in den DFB-Nachwuchsnationalmannschaften reüssieren – mindestens noch einmal genau so lang. Bleibt also die Ausgangs-Frage: Wie wäre es dem deutschen Fußball ohne das Knabenturnier ergangen?
Tja. Höchst wahrscheinlich gar nicht mal sonderlich anders. Ist ja auch schwer zu beurteilen: So ein Hallenturnier in der D-Jugend ist letztlich nur ein kleiner Baustein auf dem Weg von einem ambitionierten Elf- oder Zwölfjährigen zu einem Weltmeister. Ganz bestimmt ist es allerdings kein Zufall, dass die Zuschauer beim Knabenturnier seit seinem Bestehen immer wieder Jungs auf dem Parkett haben wirbeln sehen, die später eine großartige und erfolgreiche Karriere hingelegt haben.